Heißhunger und Erschöpfung: Burn-out Teil 1

16.10.2023

In diesem ersten Teil meiner Abhandlung über das Thema Burnout möchte ich explizit darauf verweisen, dass Erschöpfung und Ausgebranntsein kein alleiniges psychologisches Phänomen sind. Mindestens hälftig sind sie sogar ein körperliches und organisches Phänomen, womit eine Behandlung neben Psychotherapie und Verhaltensänderung über die Regulationsmedizin nicht nur möglich sondern zwingend erforderlich wird. Um diesen Zusammenhang zu verstehen, möchte ich zunächst die wichtige Komponente Ernährung erklären.

Im Essverhalten finden sich Möglichkeiten der Früherkennung und Gegensteuerung. Zu keiner Zeit in der Menschheitsgeschichte war die Menge an frei verfügbarem Zucker so hoch wie in den letzten 4 Jahrzehnten. Wenn wir die gleichzeitig steigende Anzahl an Fettsucht, Diabetes Typ 2, Demenz und Burn-out ansehen, können wir die Augen nicht verschließen und mögliche, vielleicht sogar sichere Zusammenhänge ignorieren. Der Mensch im Westen ist zu viel Zucker. Die berühmte Anpreisung, komplexe Kohlenhydrate zum Beispiel in Form von Vollkornprodukten zu konsumieren, ist eine Farce. Die frei verfügbare Menge an Zucker aus einer Scheibe Vollkornbrot übersteigt die in einem Schokoriegel! Hierzu möchte ich anregen, sich bei Wikipedia über den Glykämischen Index und die Glykämische Last zu informieren. Getreide ist Stärke. Stärke ist hintereinandergeketteter Traubenzucker, der schon im Magen in seine Einzelteile zerlegt ankommt und dort auch schon zum großen Teil in die Blutbahn übergeht.

Der Körper stellt Traubenzucker, zum Beispiel für das Gehirn, selber her. Dafür ist er konzipiert, denn vor 100.000 Jahren gab es keinen Großsupermarkt mit seinem skurrilem Überangebot. Dennoch nehmen die meisten Menschen jegliche Traubenzuckerzufuhr von außen zunächst als willkommen an und es kann bei manch einem regelrecht zu Glücksgefühlen führen. Dies hat alleine etwas mit der Intensität der Anflutung des Zuckers in Blut und Gewebe zu tun, ähnlich wie bei einer Droge. Viele Menschen stimulieren sich unterbewusst durch den überhöhten Konsum von frei verfügbaren Kohlenhydraten. Der Stressesser ist ein gutes Beispiel, wie auch der Kummeresser. Es besteht kaum ein Unterschied bei einer Tüte Weingummi oder einer Pizza: der Körper muss den Zucker, der im Blut ankommt, bis auf ein von der Natur vorgelegtes Regelmaß reduzieren, denn Glucose ist hochreaktiv, bindet an Körpereiweiße, karamellisiert diese und lässt sie unbrauchbar werden. Die kurzfristige Rettung kommt aus der Bauchspeicheldrüse. Diese schüttet bei Zuckerkonsum Insulin aus, um möglichst rasch den Blutzuckerspiegel zu regulieren. Dies erfolgt in der Regel überschießend, weil der Körper auf Nummer sicher gehen will. Die Folge ist ein Unterschreiten des Blutzuckerregelgehaltes, was das Gehirn mit Hunger, Fress-Lust oder einem gravierenden „Yeaper“ nach Essen beantwortet. Unterzuckerung ist eine akute, vitale Bedrohung. Erstaunlicherweise kann dieser Zustand des Auf und Abs lange vom Körper kompensiert und vorbeugend reguliert werden, denn er kann zur Sicherheit seinen Blut-Kortisolspiegel erhöhen. Kortisol erhöht wiederum den Blutzuckerspiegel und mildert das ungute Gefühl des „Hungerastes“. Die mildernde Wirkung von Kortisol auf die Neurotransmitter Adrenalin und Noradrenalin, die für das Zittern und die Unruhe bei Heißhunger aber auch bei Stress und Emotionen verantwortlich sind, geht dann über das Essverhalten auf den Gesamtorganismus über. Man fühlt sich beruhigt, die Stimmung ist etwas besser. Es ist, wie oben erwähnt, bei der intravenösen Verabreichung einer Droge. Der erste Kick tut gut. Den nächsten muss man sich schon eher erarbeiten. Hiermit ist der Brückenschlag zum Thema Burnout getan und es wird deutlich, dass sich der gestresste Mensch über das Essen selber stimulieren kann. Kortisol ist das „Stresshormon“. Es wird vermehrt bei Belastung auf Körper und Seele aus der Nebennierenrinde ausgeschüttet. Bei dauerhafter Belastung, auf welcher Ebene auch immer und auch durch falsches Essverhalten, kann der Regelkreislauf aus Gehirn-Hirnanhangsdrüse-Nebennierenrinde manchmal für Monate oder Jahre einen deutlich erhöhten Kortisolspiegel im Blut zulassen. Dieser Zustand kippt in der Regel, wenn die Anforderungen aus der Innenwelt (Erkrankung, Verletzung, Emotionen, Stoffwechselentgleisung u.ä.) und Außenwelt (Beruf, Familie, Partnerschaft, Bedrohung, Mobbing u.ä.) noch einmal eine Anpassung erfordern und die Reserven an Kortisol erschöpft sind. So kann ein von außen betrachteter, auch banaler Auslöser das kompensierte Stress-System zum kippen bringen und das Burnout-Syndrom vollends ausbilden. Im 2. Teil meines Artikels zum Burnout werde ich auf die Langzeitfolgen des hohen Kortisolspiegels und der gestörten Neurotransmiterregelkreisläufe im Gehirn eingehen. Das Potential, den Kreislauf des Burnout-Syndroms zu durchbrechen, ist nicht ausgeschöpft, so lange die körperliche Ebene der Erschöpfung nicht ausreichend beachtet wird. Die ideale Therapie vereint das Wiedererlangen der körperlichen Selbstregulation mit der Selbstreflexion in Psychotherapie und Coaching. Ich möchte betonen, dass es sehr wohl möglich ist, gestärkt und transformiert aus dieser umfassenden Krise herauszukommen.

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